Wednesday, April 19, 2006

rund ums Rathaus in Dreieich


Grundbuchseiten und Farblichtsegel
Barbara Beisinghoff
gewann die Ausschreibung Kunst vor Ort des Kreises Offenbach und der Sparkasse Langen-Seligenstadt zur Gestaltung des Rathausumfeldes von Dreieich im Mai 2005. Planungphase mit dem Architekturbüro Beisinghoff München
Das Kunstprojekt und die Kunstwerke, die sie geschaffen hat, stehen unter dem Motto
Denn
was innen, das ist außen nach dem Gedicht Epirrhema von Johann Wolfgang von Goethe:
Nichts ist drinnen, Nichts ist draußen,
Denn was innen, das ist außen.
Freuet Euch des wahren Scheins,
Euch des ernsten Spieles!
Kein Lebend’ges ist ein Eins,
Immer ist’s ein Vieles.
Eine Verbindung von Innen und Außen sind Fenster. Sie ermöglichen Transparenz, Durchblicke und Spiegelungen. Mit diesen Möglichkeiten spielt Barbara Beisinghoff und inszeniert vom Haupteingang über das Foyer und durch den Wandelgang des Rathauses einen Parcours, der Einblicke und Durchblicke, ständige Perspektivwechsel und Verschränkungen von Innen und Außen eröffnet.
Im Foyer, dem ‚Auftakt’ des Gebäudes, hat Beisinghoff das Gelbe Wasserzeichenbild im westlichen Fenster installiert. Es wurde von ihr in Israel gemeinsam mit dem Papiermacher Natan Kaaren aus reinen Hadern handgeschöpft. In dem gelben Kosmos fällt besonders das zentral angeordnete Auge auf.

Dem Fenster mit dem gelben Wasserzeichenbild gegenüber lenkt die gläserne Foyertür im Osten den Blick auf die Dreieichenhainer Grundbuchseite, die im Boden vor dem Haupteingang verlegt ist.
Die Kinder haben all das in den Asphalt eingeritzt, was ihnen an ihren Stadtteilen wichtig ist, was sie vornehmlich mit ihnen assoziieren und was sie selbst mit diesen Orten verbindet. Es ist eine von fünf Kupferplatten, die von Barbara Beisinghoff mit Asphaltlack bestrichen wurden und die sie ab dem 23. Juni 2005 fünf Wochen lang 250 Kindern aus den fünf Stadtteilen zur Gestaltung im eigens hierfür eingerichteten Zeichenpavillon zur Verfügung stellte. Jede Platte ist 90 kg schwer und misst 200 x 100 x 0,5 cm. Diese Platten wurden dann von der Künstlerin ins Ätzbad gelegt. Die Säure hat sich in den Ritzlinien eingegraben, in den Grund der Platten, die nun wiederum in den Grund der Stadt und damit in ihre Geschichte eingegraben sind. Die schier unglaubliche Fülle an Motiven und der hinreißende Einfallsreichtum werden bei einem Rundgang um das Rathaus erlebbar. Keine Stadt kann sich phantasievollere und lebensprallere, lebens-bejahendere Kunstmale wünschen. Die Zwickel und Stellen zwischen den Kinderzeichnungen wurden von der Künstlerin ausgehoben, der Asphaltlack wurde weggeschabt, so daß die Kinderzeichnungen nun wie Inseln dastehen. Durch diese Zwischenräume zieht sich jeweils ein Motto; bei der Dreieichenhainer Platte ist es das Gedicht Schatten von der in Dreieichenhain lebenden Dichterin Hanne F. Juritz.
Es wurden je drei Radierungen von jeder der fünf Kupferplatten gedruckt.
Vor der östlichen Glastür des Foyers, auf dem kleinen Platz vor dem Wandelgang, liegt die Götzenhainer Grundbuchseite. An ihr arbeiteten besonders viele ganz junge Kinder mit.
Götzenhain scheint ein lichtfroher, ein sonniger Ort zu sein: Elf Sonnen zählt man auf dieser Platte. Auf dem Parcours sollen alle Sinne angesprochen werden, denn mit Hilfe der Sinneseindrücke machen wir uns einen Begriff von der uns umgebenden Welt.
Die Sprendlinger Grundbuchseite am Beginn des Glaswandelganges ist überquellend angefüllt mit den unterschiedlichsten Motiven. Sprendlingen ist der bevölkerungsreichste Stadtteil mit einem großen Kindersegen. Hier findet ein reiches, vielfältiges Leben statt, weshalb Barbara Beisinghoff das schon zitierte Gedicht Epirrhema in die Platte geritzt hat: Kein Lebend’ges ist ein Eins, Immer ist’s ein Vieles. Für den Blick in den Himmel hat Barbara Beisinghoff Segel erfunden. Drei gläserne Farblichtsegel sind im Glasdach des Wandelganges eingefügt. Mit der Floatglasmalerei hat sich die Künstlerin ein weiteres künstlerisches Feld und neue Ausdrucksmöglichkeiten erschlossen. Die Künstlerin sieht die Seite des Rathauses mit dem Wandelgang als Ort der Begegnung und als seine Sonnenseite, die durch die Kunst zudem ein wenig dem Alltag enthoben ist. Die Farblichtsegel wurden von ihr und Elisabeth Schillings in der Glasmalerei-Werkstatt Schillings in Frankfurt hergestellt. Die Glassegel und die kupfernen Grundbuchseiten sind nicht nur schön, sondern sind anregend und sinnstiftend, sollen zum Schauen und Sinnen, zum heiteren Dialog anregen. Etwas Lebend’ges im Goetheschen Sinne soll entstehen.
Unter den Farblichtsegeln entsteht wieder das Spiel mit dem Innen und dem Außen. Das durch das Farbdach fallende Licht wandelt sich, abhängig vom Sonneneinfall, auf dem Boden und den Fassadenteilen in Reflexe und Farbschatten.
Die Bezüge zwischen Innen und Außen und die Blickführungen von oben nach unten und von unten nach oben geben der Gestaltung dieses öffentlichen Raums durch das Kunstprojekt von Beisinghoff einen ganz eigenen Rhythmus.
Das erste Farblichtsegel hat die Grundfarbe rot. Der horizontal geteilte Kreis im oberen Feld lässt an Erde und Sonne denken. Das Viereck darunter ist ein Sinnbild der Ordnung, der vier Himmelsrichtungen und der vier Jahreszeiten.
Das zweite Farblichtsegel ist im Kreuzungsbereich des Glasdaches vor dem Durchgang des Rathauses eingehängt. Die dominanten Farben sind blau und gelb.
Einkopiert in diese Farblichtsegel sind die Goethe-Verse:
Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,

Wie könnten wir das Licht erblicken?
Wär nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?
Da ist es wieder: das Auge als Geschöpf des Lichts. Es ist „sonnenhaft“, denn für Goethe kann nur von Gleichem Gleiches erkannt werden; Gottesebenbildlichkeit ist Voraussetzung der Gotterkenntnis. Es ist „nichts außer uns, was nicht zugleich in uns wäre“, schrieb er 1827 im Zusammenhang mit seiner Farbenlehre.
Im Boden des Vierungsbereiches wurde die Buchschlager Grundbuchseite
eingelassen. Auf dieser Platte ist zusätzlich zu den Kinderzeichnungen das Gedicht Spruch für eine Sonnenuhr von Rudolf Binding, der der erste Bürgermeister von Buchschlag war, eingraviert. Das Gedicht zeichnet ein „Memento mori“, es erinnert daran, daß Zeit ein kostbares Gut ist und fragt nach dem Ziel.


Die Offenthaler Grundbuchseite befindet sich am südlichen Ende des Glaswandelganges. Auch diese Grundbuchseite hat ein ganz eigenes Antlitz und zeigt die Besonderheiten des Stadtteils. Die Kinder haben an dieser Platte im Stehen geritzt, so daß die Motive frontal ansichtig sind. Das ergibt eine ganz andere Perspektive als bei den Platten mit den Rundum-Motiven.


Das dritte Farblichtsegel ist blau. Von Zenit und Ferne steht hier etwas zu lesen. Der Vers stammt aus einem Gedicht von Goethe zu symbolischen Bildern, das den Titel Schwebender Genius über der Erdkugel,mit der einen Hand nach unten, mit der anderen nach oben deutend trägt: Blau, die kosmische Farbe der Ferne, ist auch die Farbe der Sehnsucht.
Sind es Wolken, die wir hier über uns haben? Oder erinnern diese amorphen Gebilde nicht eher an ferne Inseln? – Es waren alte Seekarten, von denen sich die Künstlerin inspirieren ließ. Blau ist auch die Farbe des Wassers, und die Wellen sind Sinnbild des stetigen Wandels. Stetiger Wandel, für den auch die Kinder stehen, die sich hier so nachdrücklich verewigt haben. Es ist diesem Rathaus, diesem einen Rathaus für die fünf Stadtteile, zu wünschen, daß der „Genius“ von Goethe seine Hand darüber hält, damit es eine Zukunft als Genius loci, als inspirierter und inspirierender Ort hat. Hierfür hat Barbara Beisinghoff zusammen mit den Kindern aus Dreieichenhain, Götzenhain, Sprendlingen, Buchschlag und Offenthal den Grund gelegt.
Dr. Friederike Schmidt-Möbus

Gekürzte Textfassung des Vortrags zur Finissage des Kunstprojekts Denn was innen, das ist außen am 11. September 2005.

Die Grundbuchseiten, die gläsernen Farblichtsegel und das gelbe Wasserzeichen an der Glaswand des Foyers sind zu jeder Zeit rund um das Dreieicher Rathaus in Dreieich-Sprendlingen, Hauptstr. 45 zu besichtigen. Zu empfehlen ist der Besuch an sonnigen Nachmittagen, um die Farbreflexe der Glasmalerei sehen zu können.